Ist es nur eine glückliche Fügung, wenn sich „zufällig“ zwei Lebenswege kreuzen und aus der Begegnung etwas Neues beginnt? Oder wie das Telefon, das ausgerechnet in dem Moment klingelt, wenn man an den Anrufer denkt? Oder - weniger glücklich - der Wasserrohrbruch, der in Krisenzeiten zu allem Überfluss auch noch passiert. Jeder kennt solche oder ähnliche Alltagsbegebenheiten, die wir allenfalls staunend hinnehmen, ohne uns einen Reim darauf machen zu können.
Doch Zufälle können einen Sinn ergeben. Elisabeth Mardorf nennt in ihrem unterhaltsamen Buch [1] drei zentrale Merkmale, die sinnvolle von blinden Zufällen unterscheiden: Sinnvolle Zufälle geschehen immer unvorhersehbar, offenbaren aber dem oder den Beteiligten einen Sinn-zusammenhang, der oft nur ihnen selbst unmittelbar einleuchtet. Sie hinterlassen einen tiefen emotionalen Eindruck, wie wenn die Seele gerade von etwas Größerem berührt wurde. Und sie haben, wie Traumbilder, eine symbolische Bedeutung, die als „Wink des Schicksals“ erlebt werden kann.
Das klassische Beispiel für einen sinnvollen Zufall berichtete C. G. Jung einmal im Zusammenhang mit einer jungen Patientin, die sich trotz beidseitiger Bemühungen als psychologisch unzugänglich erwies: „Die Schwierigkeit bestand darin, dass sie alles besser wusste. Ihre treffliche Erziehung hatte ihr zu diesem Zwecke eine geeignete Waffe in die Hand gegeben, nämlich einen scharfgeschliffenen cartesianischen Rationalismus mit einem geometrisch einwandfreien Wirklichkeitsbegriff. Nach einigen fruchtlosen Versuchen, ihren Rationalismus durch eine etwas humanere Vernunft zu mildern, musste ich mich auf die Hoffnung beschränken, dass ihr etwas Unerwartetes und Irrationales zustoßen möge, etwas, das die intellektuelle Retorte, in die sie sich eingesperrt hatte, zu zerbrechen vermöchte. So saß ich ihr eines Tages gegenüber, den Rücken zum Fenster gekehrt, um ihrer Beredsamkeit zu lauschen. Sie hatte die Nacht vorher einen eindrucksvollen Traum gehabt, in welchem ihr jemand einen goldenen Skarabäus (ein kostbares Schmuckstück) schenkte. Während sie mir noch diesen Traum erzählte, hörte ich, wie etwas hinter mir leise an das Fenster klopfte. Ich drehte mich um und sah, dass es ein ziemlich großes fliegendes Insekt war, das von außen an die Scheiben stieß mit dem offenkundigen Bemühen, in den dunklen Raum zu gelangen. Das erschien mir sonderbar. Ich öffnete sogleich das Fenster und fing das hereinfliegende Insekt in der Luft. Es war ein Scarabaeide, Cetonia aurata, der gemeine Rosenkäfer, dessen grüngoldene Farbe ihn an einen goldenen Skarabäus am ehesten annähert. Ich überreichte den Käfer meiner Patientin mit den Worten: ‚Hier ist Ihr Skarabäus.‘ Dieses Ereignis schlug das gewünschte Loch in ihren Rationalismus, und damit war das Eis ihres intellektuellen Widerstandes gebrochen. Die Behandlung konnte nun mit Erfolg weitergeführt werden." [2[
Hier zeigt sich, dass neben den drei genannten zentralen Merkmalen noch ein weiteres hinzukommen muss, damit ein Zufall auch als sinnvoll erkannt wird: Es braucht die Geistesgegenwart eines Menschen, um die Verbindung zwischen dem inneren Erleben und dem äußeren Geschehen im richtigen Moment ins wache Bewusstsein heben, sie für-wahr-nehmen zu können.
Anmerkungen:
[1] Elisabeth Mardorf: Das kann doch kein Zufall sein!, Kösel, München 2002
[2] C. G. Jung: Über Synchronizität, Vortrag von 1951, in: Gesammelte Werke, Band VIII, Patmos, Ostfildern 1995, S. 560
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